Vor wenigen Wochen wurde für psychiatrische und psychosomatische Krankenhäuser ein neues Abrechnungssystem beschlossen, das ab 2015 gelten soll: Ähnlich wie bereits in den somatischen Kliniken gibt es dann statt individuell für jede Klinik ausgehandelter Tagessätze bundesweit pauschalierte Entgelte, die bei längeren Aufenthalten geringer werden. Der Bezirk Oberbayern, der über sein Kommunalunternehmen "kbo – Kliniken des Bezirks Oberbayern" ca. 80.000 Psychatrie-Patienten pro Jahr versorgt, wendet sich nun mit einer Resolution des Bezirkstags gegen das neue Entgeltsystem. Er befürchtet eine Zwei-Klassen-Psychiatrie, weil schwerer psychisch erkrankte Menschen aus Kostengründen nur noch von Kliniken mit Vollversorgungsauftrag aufgenommen werden könnten. Krankenhäuser ohne diese Verpflichtung könnten sich auf die leichteren und damit mutmaßlich lukrativeren Fälle spezialisieren, während Vollversorger ins Kostenabseits rutschen oder gezwungen sein könnten, Patienten frühzeitig zu entlassen. Die Resolution wurde vom Bezirkstag von Oberbayern in seiner heutigen Sitzung einstimmig verabschiedet und appelliert an den Bundesgesundheitsminister, das geplante Vergütungssystem noch einmal grundlegend zu überarbeiten.
Der Bezirk Oberbayern fordert eine grundlegende Änderung des mit der Verordnung des Bundesgesundheitsministers vom 19.11.2012 in Kraft gesetzten neuen Entgeltsystems für die psychiatrischen und psychosomatischen Krankenhäuser.
Die Kliniken des Bezirks Oberbayern, kurz kbo, versorgen mit 5.700 Mitarbeiter/innen ca. 80.000 Patient/innen pro Jahr, sie bieten stationäre, teilstationäre sowie ambulante Leistungen an über 20 Standorten in Oberbayern an.
Die Finanzierung erfolgte bisher über mit den Krankenkassen vereinbarte Pflegesätze, die je nach Lage, Ausstattung und Patientenstruktur der Klinik im Detail unterschiedlich gestaltet waren.
Dieses System wird nun grundlegend verändert: Durch den sogenannten PEPP-Entgeltkatalog, werden bundesweit pauschalierte Entgelte, wie sie in den somatischen Häusern schon seit längerem bestehen, mit deutlich abschmelzenden Entgelten bei längeren Aufenthalten, eingeführt.
Die Einführung in der Psychiatrie, die ab 2015 schrittweise erfolgt, soll zu mehr Kostentransparenz führen. Dieses Ziel, ebenso der Weg zu mehr Vergütungsgerechtigkeit zwischen den Einrichtungen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Nur wird mit dem jetzt vorliegenden Modell das Gegenteil erreicht.
Krankheitsverläufe bei psychischen Erkrankungen lassen sich weder diagnostisch noch im Behandlungssetting ausreichend in einem solch schematisierten Zeitablauf patientenorientiert abbilden. Dies haben alle Expertenstellungnahmen übereinstimmend ergeben und deshalb hat auch u. a. die Deutsche Krankenhausgesellschaft dem neuen System nicht zugestimmt. Die im vorliegenden PEPP-Katalog angesetzten degressiv verlaufenden Kostenerstattungen in der Psychiatrie führen dazu, dass die Patientinnen und Patienten schneller wieder entlassen werden und sie damit zumindest teilweise vorzeitig nach Hause oder in das weitestgehend kommunal finanzierte ambulant komplementäre Hilfesystem überführt werden. Dieser Effekt wird durch den Kostendruck der im Zeitverlauf abschmelzenden Klinikpflegesätze zwangsläufig erzielt werden.
Aufgrund dieser falschen Entgeltsystematik befürchten wir, dass insbesondere schwerer psychisch erkrankte Menschen von Krankenhäusern, die keiner gesetzlichen Vollversorgungspflicht unterliegen, nicht mehr aufgenommen und leichter Erkrankte, die systemzeitgerecht entlassen werden können, bevorzugt behandelt werden.
Unsere Kliniken, die einen gesetzlichen Vollversorgungsauftrag erfüllen, d. h. Krankenhäuser, die rund um die Uhr an 365 Tagen im Jahr für jede Art und Schwere von krankenhausbehandlungsbedürftigen Menschen mit psychischen Erkrankungen eine notwendige, stationäre Aufnahme ermöglichen und bis hin zur Zwangsunterbringung gewährleisten, haben bereits jetzt wesentlich höhere Grundkosten, als Krankenhäuser, die sich auf bestimmte Krankheitsbilder und Personengruppen spezialisieren können.
Es darf nach jahrelangen erfolgreichen Bemühungen aller in diesem Bereich Tätigen, die Stigmatisierung von psychisch Kranken abzubauen, nicht durch ein neues nicht durchdachtes Entgeltsystem erneut eine Zweiklassenpsychiatrie eingeführt werden. Dies haben weder Patienten noch Klinikträger verdient.
Deshalb fordert der Bezirk Oberbayern sowohl als Krankenhausbetreiber als auch überörtlicher Sozialhilfeträger von allen Verantwortlichen, insbesondere dem zuständigen Bundesgesundheitsminister und der InEK, das neue Entgeltsystem patientenorientiert zu gestalten und das in der Verordnung vorgegebene System in dieser Hinsicht grundlegend zu überarbeiten.
Wichtig ist dabei eine an Versorgungsaspekten der Patientinnen und Patienten orientierte Fortentwicklung zu einem lernenden System. Daran müssen unsere Kliniken, die sich bereits aktiv als Kalkulationshäuser einbringen, intensiv beteiligt werden.
Vollversorgungskrankenhäuser mit gesetzlichem Pflichtauftrag müssen eine leistungsgerechte Vergütung erhalten können. Die Aufnahmepflicht für alle psychisch erkrankten Menschen, die gerade die Bezirkskliniken mit hoher Verantwortung erfüllen, darf nicht dazu führen, dass für sie dadurch ein Wettbewerbsnachteil entsteht und eine auch wirtschaftlich auskömmliche Betriebsführung vom Gesetzgeber verhindert wird.
Letztendlich ist immer der hilfesuchende Patient der Leidtragende von falsch konstruierten Vergütungssystemen.
Die Unterzeichner der "Resolution des Bezirkstags von Oberbayern zu neuen Entgeltsystemen in der Psychiatrie" präsentieren diese vor dem Plenarsaal des Bezirkstags auf der Dachterrasse der Bezirksverwaltung in München (von links):
Michael Asam (Vorsitzender der SPD-Bezirkstagsfraktion), Josef Loy (Vorsitzender der CSU-Bezirkstagsfraktion), Sigrid Friedl-Lausenmeyer (Vorsitzende der FDP-Bezirkstagsfraktion), Martina Neubauer (Vorsitzender der Bezirkstagsfraktion Bündnis 90/ Die Grünen), Josef Mederer (Bezirkstagspräsident) und Rainer Schneider (Bezirkstagsfraktion der Freien Wähler).